Bianka Neußer mimt den übergriffigen Mann. Zuvor demonstriert sie gemeinsam mit Gerlinde Walka vom Fachdienst in Rosenharz, wie man sich als Frau aus einer solch unangenehmen Situation befreit. Ein kräftiges, energisches „Fass mich nicht an den Po“ überrascht den Angreifer und weckt die Aufmerksamkeit Umstehender. Jede Teilnehmerin meistert die Übung souverän: Die eine geht nach ihrer klaren Ansage rasch weg, die andere behält das Gegenüber beim Weggehen intensiv im Auge. Welche Kraft in ihnen steckt, zeigen den Frauen auch die Übungen mit den Therapiehunden. Ein überzeugtes „Lass mich in Ruhe“, hält den Hund auf Abstand. „Die Menschen reagieren gleich. Sie merken, wenn du entschlossen bist.“, erklärte Bianka Neußer. Einem Angreifer das eigene Knie in den Unterleib zu stoßen, will auch gelernt sein. Einige Frauen kostet die Übung zunächst große Überwindung. Doch mit jedem Durchgang wird jede Einzelne stärker und mutiger. Begleitet von lauten Schreien erfahren die Boxsäcke am Unterleib von Bianka Neußer und Gerlinde Walka die Kraft, die in den Frauen steckt.
Grenzen erkennen, Grenzen setzen
Zunächst müssen die Frauen lernen, zu erkennen, wo die Grenzen für die anderen sind. „Das Schwierigste dabei ist, dass es oft Menschen sind, die wir kennen“, erklärt Bianka Neußer den Frauen. Möglicherweise ist eine Situation zunächst angenehm. Doch dann schaltet das eigene Bauchgefühl von Grün auf Rot. Sich zu trauen, „Halt“ zu signalisieren, fällt dann besonders schwer. Wichtig dabei sind die eigene Entschlossenheit und der Mut, für sich selbst einzustehen. Für die Teilnehmerinnen sind dies wichtige Lernprozesse, wie die Rückmeldungen nach den beiden intensiven Tagen zeigen: „Ich hab gelernt ‚Nein‘ zu sagen. Das ist mir aber zuerst schwer gefallen.“ „Es ist toll, die eigene Kraft zu spüren.“ Oder: „Wir sind alle ein bisschen stärker geworden.“
Frauen persönlich stärken
Der Kurs fand im Rahmen des Projektes „Gewaltfrei leben und arbeiten – Ein Projekt zur Verbesserung der Situation gewaltbetroffener Frauen mit Behinderung“ (kurz: GELA) statt und wird unterstützt durch das baden-württembergische Sozialministerium. Neben landesweiten Schulungen für Frauen mit Behinderungen werden auch Fachkräfte in Einrichtungen geschult und sensibilisiert für den Umgang mit Übergriffen und sexueller Gewalt. Frauen mit Handicap lernen außerdem örtliche Beratungsstellen kennen, an die sie sich jederzeit wenden können. Bei der Stiftung Liebenau stehen Frauen bei Problemen grundsätzlich verschiedene Ansprechpartner zur Verfügung, wie zum Beispiel die Vertrauenspersonen, die Fürsprecherinnen und die Frauenbeauftragten.